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Bitte in diesem Thread nur Bilder anhängen

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Christian Pichler


Premium (Pro), Ottensheim

Kommentare 11

  • Gerontolon Müllhaupt 3. Februar 2008, 1:08

    @Elena: Bitte nur Bilder anhängen!
  • Elena Pogrzeba 3. Februar 2008, 0:53

    Ist das jetzt ein Literaturclub ?
  • Foto Fant 2. Februar 2008, 17:04

    ja!
  • Britta T 1. Februar 2008, 23:44

    *looooooooool*
  • Christian Pichler 1. Februar 2008, 20:31

    @GM: du schwächelst, da fehlt ja einiges! ;-)
  • Gerontolon Müllhaupt 1. Februar 2008, 20:17

    genau, wieso eigentlich nur Bilder, warum nicht auch eine Erzählung von Puschkin?


    Alexander Puschkin
    Dubrowskij
    Erstes Kapitel

    Vor mehreren Jahren lebte auf einem seiner Güter der Landedelmann vom alten Schrot und Korn Kirila Petrowitsch Trojekurow. Sein Reichtum, seine vornehme Abstammung und seine Verbindungen verliehen ihm ein großes Gewicht in dem Gouvernement, wo sich sein Gut befand. Von seiner ganzen Umgebung verwöhnt, pflegte er keiner Laune seines heißblütigen Gemüts und keinem Einfall seines recht beschränkten Geistes einen Zaum anzulegen. Die Nachbarn waren froh, wenn sie seine Wünsche erfüllen konnten; die Gouvernementsbeamten zitterten bei der bloßen Erwähnung seines Namens. Kirila Petrowitsch nahm alle Zeichen der Unterwürfigkeit als einen ihm zukommenden Tribut auf. Sein Haus war immer voller Gäste, die stets bereit waren, ihm in seinem Müßiggange Gesellschaft zu leisten und seine geräuschvollen, zuweilen auch tollen Belustigungen zu teilen. Niemand erfrechte sich, eine Einladung zurückzuweisen, oder versäumte es, an bestimmten Tagen im Dorfe Pokrowskoje seine Auswartung zu machen. Kirila Petrowitsch war ungewöhnlich gastfrei und litt, trotz der ungeheuren Ausdauer seiner Körperkräfte, an die zweimal in der Woche an den Folgen seiner Unmäßigkeit und war jeden Abend angeheitert. Nur wenige leibeigene Mädchen entgingen den Anschlägen des fünfzigjährigen Wollüstlings. Außerdem wohnten in einem Seitenflügel seines Hauses sechzehn Dienstmädchen, die sich mit den ihrem Geschlechte eigenen Handarbeiten beschäftigten. Die Fenster dieses Flügels mit einem Holzgitter versehen, die Türen immer abgeschlossen, und die Schlüssel befanden sich bei Kirila Petrowitsch. Die jungen Gefangenen gingen zu festgesetzten Stunden unter Aufsicht zweier alter Frauen im Garten spazieren. Kirila Petrowitsch verheiratete ab und zu eine von ihnen und nahm dann an ihre Stelle eine neue. Die Bauern und das Hausgesinde behandelte er streng und despotisch; trotzdem waren sie ihm ergeben: sie waren auf den Reichtum und das Ansehen ihres Herrn stolz und erlaubten sich ihrerseits vieles gegen ihre Nachbarn,. da sie auf den mächtigen Schutz ihres Herrn rechnen durften.

    Die ständige Beschäftigung Trojekurows bestand darin, daß er seine ausgedehnten Besitztümer besuchte, dauernd Zechgelage veranstaltete und Streiche verübte, die er jeden Tag neu erfand und denen gewöhnlich jemand von seinen neuen Bekannten zum Opfer fiel, obwohl ihnen auch die alten Bekannten nicht immer entgingen, – mit der einzigen Ausnahme von Andrej Gawrilowitsch Dubrowskij. Dieser Dubrowskij, ehemaliger Leutnant der Garde, war sein nächster Nachbar und besaß nur siebzig leibeigene Seelen. Trojekurow, der im Verkehr mit den hochstehenden Personen hochmütig war, hatte vor Dubrowskij trotz dessen bescheidenen Vermögens Respekt. Einst waren sie Dienstkameraden gewesen, und Trojekurow kannte aus Erfahrung sein aufbrausendes Wesen und die Festigkeit seines Charakters. Das denkwürdige Jahr 1762 trennte sie für lange. Trojekurow, der mit der Fürstin Daschkowa verwandt war, machte Karriere; Dubrowskij war aber gezwungen, Abschied zu nehmen und sich mit den Resten seines Vermögens auf das ihm noch verbliebene Gut zurückzuziehen. Als Kirila Petrowitsch davon erfuhr, bot er ihm seine Hilfe an, aber Dubrowskij dankte dafür und blieb arm und unabhängig. Einige Jahre später kam Trojekurow als General en Chef a.D. aus sein Gut zurück; die beiden sahen sich mit großer Freude wieder. Von nun an waren sie jeden Tag zusammen, und Kirila Petrowitsch, der sonst niemand die Ehre seinem Besuches erwies, besuchte oft ohne alle Förmlichkeit das bescheidene Haus seines alten Freundes. Da sie Altersgenossen und vom gleichen Stande waren und die gleiche Erziehung genossen hatten, besaßen sie eine gewisse Ähnlichkeit im Charakter und in den Neigungen; in manchen Beziehungen waren auch ihre Schicksale ähnlich: beide hatten aus Liebe geheiratet, waren früh Witwer geworden, und ein jeder hatte ein Kind. Der Sohn Dubrowskijs wurde in Petersburg erzogen, und die Tochter Kirila Petrowitschs wuchs im väterlichen Hause heran. Trojekurow pflegte zu Dubrowskij zu sagen: »Hör' mal, Bruder Andrej Gawrilowitsch: wenn aus deinem Wolodjka was rechtes wird, will ich ihm meine Mascha geben, und wenn er auch so arm ist wie eine Kirchenmaus.« Andrej Gawrilowitsch schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, Kirila Petrowitsch, mein Wolodjka ist nicht der passende Mann für Marja Kirilowna. Für einen armen Adligen, wie er, ist es besser, eine arme Adlige zu heiraten und der Herr in seinem Hause zu sein, statt der Diener eines verzogenen Weibes zu werden.«

    Die Eintracht, die zwischen dem hochmütigen Trojekurow und seinem armen Nachbarn herrschte, erregte in allen Neid, und alle bewunderten die Kühnheit des letzteren, wenn er bei der Tafel Kirila Petrowitsch offen seine Meinung äußerte, ohne sich darum zu kümmern, ob sie den Überzeugungen des Hausherrn entsprach. Manche versuchten es ihm gleichzutun und die Grenzen des gebührenden Gehorsams zu überschreiten; aber Kirila Petrowitsch jagte ihnen dann solche Angst ein, daß sie für immer jede Lust zu solchen Versuchen verloren: nur Dubrowskij allein stand außerhalb dieses Gesetzes. Durch einen Zufall wurde aber dieses Verhältnis getrübt und gestört.

    Einmal, im Frühherbst, wollte Kirila Petrowitsch zur Jagd. Am Tage vorher erging an die Stallknechte und Pikeure der Befehl, um fünf Uhr früh bereit zu sein. Das Zelt und die Küche wurden schon vorher an den Ort verbracht, wo Kirila Petrowitsch zu Mittag essen sollte. Der Hausherr und seine Gäste besuchten den Hundezwinger, wo mehr als fünfhundert Spür – und Windhunde behaglich und warm lebten, die Freigebigkeit Kirila Petrowitschs in ihrer Hundesprache preisend. Hier befand sich auch das vom »Stabsarzte« Timoschka geleitete Lazarett für die kranken Hunde und eine Abteilung, wo die Hündinnen ihre Jungen warfen und säugten. Kirila Petrowitsch war auf diese herrliche Einrichtung stolz und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, mit ihr vor seinen Gästen zu prahlen, von denen jeder diesen Zwinger schon mindestens zwanzigmal gesehen hatte. Von seinen Gästen umgeben und von Timoschka und den Ober-Pikeuren gefolgt, ging er durch den Zwinger und blieb hie und da vor einer Hundehütte stehen, um sich bald nach dem Zustand der Kranken zu erkundigen, bald mehr oder weniger strenge und vernünftige Bemerkungen zu machen und bald die ihm bekannten Hunde herbeizurufen und sich mit ihnen freundlich zu unterhalten. Die Gäste hielten es für ihre Pflicht, ihr Entzücken über den Hundezwinger Kirila Petrowitschs zu äußern; Dubrowskij allein schwieg und machte ein finsteres Gesicht; er war leidenschaftlicher Jäger, aber sein Vermögen erlaubte ihm, sich nur zwei Hetzhunde und eine Windhündin zu halten; darum konnte er beim Anblick dieser großartigen Zucht seinen Neid nicht unterdrücken.

    »Was blickst du so finster,« fragte Kirila Petrowitsch, »gefällt dir mein Zwinger nicht?« – »Nein,« antwortete Dubrowskij streng, »der Zwinger ist herrlich, Ihre Leute haben wohl kaum ein so gutes Leben wie Ihre Hunde.« Ein Pikeur fühlte sich beleidigt. »Über unser Leben,« sagte er, »können wir dank Gott und unserm Herrn nicht klagen, aber für manchen Edelmann wäre es gar nicht schlecht, sein Gut mit einer beliebigen Hundehütte zu vertauschen: da gäbe es mehr zu essen und er hätte es auch wärmer.« Kirila Petrowitsch lachte bei der frechen Bemerkung seines Knechtes laut auf, und mit ihm lachten auch alle andern, obgleich sie fühlten, daß der Scherz des Pikeurs sich auch auf sie hätte beziehen können. Dubrowskij erbleichte, sagte aber kein Wort. In diesem Augenblick brachte man Kirila Petrowitsch in einem Körbchen einen Wurf neugeborener Hunde; er widmete sich ihnen, wählte zwei von ihnen aus und ließ die übrigen ertränken. Andrej Gawrilowitsch verschwand indessen, ohne daß es jemand bemerkte.

    Mit den Gästen aus dem Hundezwinger zurückgekehrt, setzte sich Kirila Petrowitsch an die Abendtafel und vermißte erst jetzt Dubrowskij. Seine Diener sagten ihm, Andrej Gawrilowitsch sei nach Hause gefahren. Trojekurow befahl, ihm sofort einen Boten nachzuschicken, der ihn zurückbringen sollte. Noch nie war er ohne Dubrowskij, diesen erfahrenen und feinen Kenner der Hunde und den oberster Richter in allen Jagdstreitigkeiten auf die Jagd gefahren. Der Diener, den er Dubrowskij nachgeschickt hatte, kehrte zurück und meldete, als alle noch bei der Tafel saßen, seinem Herrn, Andrej Gawrilowitsch hätte ihm nicht gefolgt und wolle nicht zurückkommen. Kirila Petrowitsch, wie immer durch den genossenen Fruchtschnaps erhitzt, wurde böse und schickte den gleichen Boten nochmals, Andrej Gawrilowitsch zu sagen, daß, wenn er nicht nach Pokrowskoje käme, um da zu übernachten, er, Trojekurow, sich mit ihm für immer verzanke. Der Diener ritt wieder davon. Kirila Petrowitsch stand von der Tafel auf, entließ die Gäste und legte sich schlafen. Seine erste Frage am andern Morgen war: »Ist Andrej Gawrilowitsch hier?« Man überreichte ihm einen zu einem Dreieck zusammengefalteten Brief. Kirila Petrowitsch befahl seinem Schreiber, den Brief laut vorzulesen, und hörte folgendes:

    »Mein gnädigster Herr!
    Ich bin nicht gewillt, so lange nach Pokrowskoje zurückzukehren, ehe Sie mir den Pikeur Paramoschka mit einer Entschuldigung geschickt haben; es soll dabei in meiner Macht stehen, ihn zu bestrafen oder ihm zu verzeihen; ich habe aber nicht die Absicht, die Späße Ihrer Knechte zu dulden und werde sie mir auch von Ihnen nicht gefallen lassen, denn ich bin kein Narr, sondern ein alter Edelmann. Indessen verbleibe ich Ihr ergebener Diener
    Andrej Dubrowskij.«

    Nach den damaligen Anstandsbegriffen war der Brief im höchsten Grade verletzend; Kirila Petrowitsch wunderte sich aber nicht über den seltsamen Stil, sondern nur über den Inhalt. »Wie?« schrie Trojekurow auf, mit bloßen Füßen aus dem Bette springend. »Ich soll ihm meine Leute mit einer Entschuldigung schicken! Was fällt ihm ein? Weiß er auch, mit wem er es zu tun hat? Ich werde es ihm schon zeigen! Er soll wissen, was es heißt, gegen Trojekurow aufzubegehren.« Kirila Petrowitsch zog sich aber doch an und fuhr mit seinem gewöhnlichen Prunk auf die Jagd. Er hatte kein Glück; den ganzen Tag bekamen sie nur einen einzigen Hasen zu Gesicht, der ihnen obendrein entging; das Mittagessen im Freien unter dem Zelte war gleichfalls mißlungen oder entsprach wenigstens nicht dem Geschmack Kirila Petrowitschs, der den Koch verprügelte, die Gäste grob anfuhr und auf dem Heimwege mit der ganzen Jagdgesellschaft durch die Felder Dubrowskijs ritt.
    Zweites Kapitel

    Es vergingen einige Tage, und die Feindschaft zwischen den beiden Nachbarn nahm nicht ab. Andrej Gawrilowitsch dachte gar nicht daran, nach Pokrowskoje zurückzukehren; Kirila Petrowitsch langweilte sich aber ohne ihn und machte seinem Ärger in den beleidigendsten Ausdrücken Luft, die dank dem Eifer der damaligen Edelleute Dubrowskij in verbesserter und vervollständigter Fassung erreichten. Ein neuer Zwischenfall vernichtete auch die letzte Hoffnung auf eine Versöhnung. Dubrowskij machte eines Tages eine Runde durch seinen kleinen Besitz; als er sich dem Birkenwäldchen näherte, hörte er Abschläge und gleich darauf das Krachen eines gefällten Baumes; er eilte hin und erwischte mehrere Bauern aus Pokrowskoje, die ruhig sein Holz stahlen. Als sie ihn sahen, wollten sie davonlaufen, aber Dubrowskij fing mit Hilfe seines Kutschers zwei von ihnen ein und brachte sie gefesselt auf seinen Hof; auch drei feindliche Pferde fielen dem Sieger zu. Dubrowskij war außerordentlich erbost; bisher hatten sich die Trojekurowschen Leute, die sonst als Diebe bekannt waren, in den Grenzen seines Besitztums nie etwas erlaubt, da sie die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Besitzern kannten. Dubrowskij sah, daß sie sich den zwischen ihnen ausgebrochenen Zwist zunutze machten, und entschloß sich, entgegen allen Vorschriften des Kriegsrechts, seine Gefangenen mit den Ruten, die sie selbst in seinem Wäldchen gestohlen hatten, zu züchtigen, die Pferde aber dem herrschaftlichen Arbeitsvieh zuzuteilen.

    Die Nachricht von diesem Ereignis erreichte am gleichen Tage Kirila Petrowitsch. Er geriet ganz außer sich und wollte schon im ersten Ausbruch des Zornes mit allen seinen Leibeigenen einen Angriff auf Kistenjowka (so hieß das Gut seines Nachbarn) unternehmen, es vollkommen verwüsten und den Besitzer selbst im Herrenhause belagern; solche Heldentaten waren für ihn nichts Neues; aber seine Gedanken nahmen eine andere Richtung. Während er mit schweren Schritten im Saal auf und ab ging, blickte er zufällig durchs Fenster und sah vor dem Tore eine Troika halten; ein kleines Männchen in Ledermütze und Friesmantel entstieg dem Wagen und begab sich in den Seitenflügel zum Verwalter. Trojekurow erkannte den Assessor Schabaschkin und ließ ihn zu sich rufen. Nach einer Minute stand Schabaschkin schon vor Kirila Petrowitsch, machte eine Verbeugung nach der anderen und wartete mit Andacht auf seine Befehle.

    »Guten Tag, ... wie heißt du noch?« sagte Trojekurow. »Wozu bist du hergekommen?«

    »Ich fuhr zur Stadt, Euer Exzellenz,« antwortete Schabaschkin, »und wollte bei Iwan Demjanow nachfragen, ob Euer Exzellenz keinen Befehl für mich hätten.«

    »Du kommst mir gerade gelegen ... wie heißt du noch? ... Ich will von dir was. Trink ein Glas Schnaps und Höre mich an.«

    Dieser freundliche Empfang überraschte den Assessor auf die angenehmste Weise; er verzichtete auf den Schnaps und begann den Worten Kirila Petrowitschs mit der größten Aufmerksamkeit zu lauschen.

    »Ich habe einen Nachbarn,« sagte Trojekurow, »einen landarmen Gutsbesitzer, einen Grobian, und ich will ihm sein Gut nehmen ... was denkst du darüber?«

    »Euer Exzellenz, wenn Sie vielleicht irgendwelche Dokumente haben ...«

    »Unsinn, Bruder, was brauchst du Dokumente? Dafür gibt es Ukase. Das ist eben der Witz, daß ich ihm das Gut ohne jedes Recht nehme. Wart' aber! Dieses Gut hat einmal uns gehört, es war irgendeinem Spizyn abgekauft und dann dem Vater Dubrowskijs verkauft worden. Kann man sich das irgendwie zunutze machen?«

    »Es ist schwierig, Exzellenz; der Verkauf war wohl unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften abgeschlossen worden.«

    »Denk' mal nach, Bruder, überlege dir die Sache.«

    »Wenn Euer Exzellenz zum Beispiel von Ihrem Nachbarn die Urkunde bekommen könnten, auf der sein Besitzrecht beruht, dann natürlich ...«

    »Ich verstehe, aber denke dir nur das Pech: alle seine Papiere sind bei einer Feuersbrunst verbrannt.«

    »Wie, Euer Exzellenz, seine Papiere sind verbrannt? Was wollen Sie dann noch? In diesem Falle belieben Sie auf dem gesetzlichen Wege vorzugehen, und Sie können überzeugt sein, daß die Sache zu Ihrer vollsten Zufriedenheit erledigt werden wird.«

    »Du glaubst so? Also pass' auf, ich verlasse mich aus deinen Eifer, und meiner Dankbarkeit darfst du versichert sein.«

    Schabaschkin verbeugte sich fast bis zur Erde und ging hinaus; am gleichen Tage machte er sich an die beschlossene Sache, und Dubrowskij bekam dank Schabaschkins Geschicklichkeit schon nach zwei Wochen aus der Stadt die Aufforderung, sich unverzüglich zu der beim Gericht vom General en Chef Trojekurow eingelaufenen Klage, daß er das Gut Kistenjowka zu Unrecht besitze, zu äußern.

    Andrej Gawrilowitsch, über die unerwartete Anfrage erstaunt, antwortete am gleichen Tage mit einem recht groben Briefe, in dem er erklärte, daß er das Gut Kistenjowka von seinem seligen Vater geerbt hätte, daß er es auf Grund des Erbrechtes besitze, daß Trojekurow die Sache nichts anginge und daß jeder Versuch, ihm sein Eigentumsrecht streitig zu machen, nichts als Betrug und Gaunerei sei. Dubrowskij hatte keine Erfahrung in Prozeßsachen und ließ sich meistenteils vom gesunden Menschenverstand leiten, dessen Führung selten die richtige und fast immer eine ungenügende ist.

    Dieser Brief erfreute dem Assessor Schabaschkin das Herz; er sah erstens, daß Dubrowskij von Geschäften wenig verstand und zweitens, daß es gar nicht so schwer sein würde, einen so hitzigen und unbesonnenen Menschen in eine höchst unvorteilhafte Lage zu versetzen. Andrej Gawrilowitsch sah sich die vom Gericht eingelaufene Anfrage noch einmal ruhig an und erkannte die Notwendigkeit, etwas ausführlicher zu antworten; er schrieb einen recht vernünftigen Brief, der sich jedoch später als ungenügend erwies.

    Die Sache zog sich in die Länge. Von seinem Rechte überzeugt, kümmerte sich Andrej Gawrilowitsch wenig um die Sache; er hatte weder Lust noch die Möglichkeit, mit Geld um sich zu werfen, spottete über das käufliche Gewissen der Rechtsverdreher, und der Gedanke, daß er das Opfer einer Rechtsbeugung werden könne, kam ihm nie in den Sinn. Trojekurow kümmerte sich auch seinerseits sehr wenig um den Erfolg des von ihm angestrengten Prozesses; Schabaschkin führte die Sache in seinem Namen, machte sich die Richter durch Einschüchterungen und Bestechungen gefügig und legte alle existierenden Ukase auf seine Weise aus. Kurz und gut, am 9. Februar 18.. erhielt Dubrowskij durch die Stadtpolizei eine Aufforderung, vor dem Landgericht zu *** erscheinen, um das in der Streitsache zwischen ihm, dem Leutnant Dubrowskij, und dem General en Chef Trojekurow wegen eines strittigen Gutes gefällte Urteil anzuhören und durch seine Unterschrift entweder dem Urteil die Zustimmung zu geben oder aber dagegen Berufung einzulegen. Dubrowskij begab sich noch am gleichen Tage in die Stadt. Unterwegs überholte ihn Trojekurow: sie sahen einander hochmütig an, und Dubrowskij bemerkte im Gesichte seines Gegners ein boshaftes Lächeln.

    In der Stadt stieg Andrej Gawrilowitsch bei einem ihm bekannten Kaufmann ab, übernachtete bei diesem und erschien am nächsten Morgen vor dem Landgericht. Gleich nach ihm kam auch Kirila Petrowitsch; die Schreiber steckten ihre Federn hinter die Ohren und erhoben sich; die Richter empfingen ihn mit dem Ausdrucke tiefster Unterwürfigkeit und schoben ihm aus Achtung vor seinem Rang, seinem Alter und seiner Körperfülle einen Sessel hin. Er setzte sich, während Andrej Gawrilowitsch an eine Wand gelehnt stand. Eine tiefe Stille trat ein, und der Sekretär verlas mit lauter Stimme die Entscheidung des Gerichts. Der Sekretär verstummte; der Assessor stand auf und wandte sich mit einer tiefen Verbeugung an Trojekurow mit der Aufforderung, das Papier zu unterschreiben. Der triumphierende Trojekurow nahm aus seiner Hand die Feder und schrieb unter das Gerichtsurteil sein vollkommenes Einverständnis mit demselben. Jetzt war die Reihe an Dubrowskij. Der Sekretär reichte ihm das Papier, aber Dubrowskij stand regungslos mit gesenktem Kopf da. Der Sekretär wiederholte die Aufforderung, »seine volle und bedingungslose Zustimmung oder seinen ausdrücklichen Protest gegen das Urteil niederzuschreiben, falls er wider Erwarten von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugt sei, und falls er die Absicht habe, in der von den Gesetzen vorgeschriebenen Frist gehörigen Ortes Berufung einzulegen«.

    Dubrowskij schwieg... Plötzlich hob er seinen Kopf, seine Augen funkelten, er stampfte mit einem Fuß, stieß den Sekretär so heftig zurück, daß jener hinfiel, ergriff ein Tintenfaß und warf es dem Assessor an den Kopf. Dann schrie er mit wilder Stimme: »Diese Schändung der Kirche Gottes! Hinaus, Gesindel!« Dann wandte er sich an Kirila Petrowitsch und fuhr fort: »Hat man es schon gehört, daß Stallknechte Hunde in die Kirche Gottes bringen! Hunde laufen in der Kirche herum! Ich werde es euch zeigen!« Alle waren entsetzt. Die Gerichtsdiener kamen auf den Lärm herbei und überwältigten ihn mit Mühe. Man führte ihn hinaus und setzte ihn in seinen Schlitten. Trojekurow verließ gleich nach ihm das Gericht, und alle Richter gaben ihm das Geleite; der plötzliche Wahnsinnsanfall Dubrowskijs machte auf ihn mächtigen Eindruck und vergiftete seine Siegesfreude; die Richter, die auf seinen Dank rechneten, bekamen von ihm kein einziges freundliches Wort zu hören; er begab sich sofort nach Pokrowskoje zurück, von heimlichen Gewissensbissen geplagt und ohne die Befriedigung seinen Hasses voll ausgekostet zu haben. Dubrowskij lag indessen im Bett; der Kreisarzt (der glücklicherweise kein völliger Ignorant war) ließ ihn zur Ader und setzte ihm Blutegel und spanische Fliegen an; gegen Abend fühlte er sich besser, und am anderen Tage brachte man ihn nach Kistenjowka, das ihm fast nicht mehr gehörte.
    Drittes Kapitel

    Es verging einige Zeit, aber das Befinden des armen Dubrowskij war noch immer schlecht. Die Anfälle von Wahnsinn hatten sich zwar nicht mehr wiederholt, aber seine Kräfte nahmen von Tag zu Tag ab. Er vernachlässigte seine gewohnten Beschäftigungen, verließ selten sein Zimmer und grübelte oft Tag und Nacht. Die gute alte Jegorowna, die einstige Wärterin seines Sohnes, wurde nun zu seiner Pflegerin. Sie pflegte ihn wie ein kleines Kind, erinnerte ihn an Essen und Schlafen, fütterte ihn und brachte ihn selbst zu Bett. Andrej Gawrilowitsch gehorchte ihr in allen Dingen, ließ aber sonst niemand zu sich. Er war nicht imstande, an seine Geschäfte und an die Wirtschaft zu denken, und die Jegorowna hielt es für notwendig, den jungen Dubrowskij, der in einem der Garde-Infanterieregimenter diente und sich in Petersburg aufhielt, über alles zu benachrichtigen. So riß sie ein sauberes Blatt aus dem Wirtschaftsbuche heraus und diktierte dem Koch Chariton, dem einzigen Mann, der in Kistenjowka zu schreiben verstand, einen Brief, den sie am gleichen Tage nach der Stadt zur Post schickte. Es ist aber Zeit, den Leser mit dem eigentlichen Helden unserer Geschichte bekannt zu machen. Wladimir Dubrowskij war in einem Kadettenkorps erzogen worden und dann in die Garde als Kornett eingetreten. Der Vater wandte alles auf, um seinem Sohne anständige Mittel zur Verfügung zu stellen, und der junge Mann bekam von zu Hause mehr, als er eigentlich erwarten durfte. Da er leichtsinnig und ehrgeizig war, erlaubte er sich kostspielige Liebhabereien: er spielte Karten, machte Schulden, dachte nicht an die Zukunft und sagte sich mitunter, daß er wohl früher oder später eine reiche Heirat machen würde.

    Eines Abends, als mehrere Offiziere auf seinen Sofas lagen und seine Pfeifen rauchten, reichte ihm sein Kammerdiener Grischa einen Brief, dessen Aufschrift und Siegel den jungen Mann nicht wenig überraschten. Er öffnete ihn schnell und las folgendes:

    »Unser gnädiger Herr, Wladimir Andrejewitsch! Ich, deine alte Wärterin, wage es, dir über die Gesundheit deines Vaters zu berichten. Es geht ihm sehr schlecht, manchmal weiß er nicht, was er spricht, und sitzt den ganzen Tag wie ein dummes Kind da. Gott ist der Herr über Leben und Tod. Komme schneller zu uns, mein lieber Falke, wir wollen dir nach Pessotschnoje Pferde entgegenschicken. Man sagt, das Landgericht schickt zu uns seine Beamten, um uns dem Kirila Petrowitsch Trojekurow zu übergeben, weil wir, wie er sagt, ihm gehören; wir gehören aber von jeher euch, etwas anderes haben wir auch nie gehört. Du könntest darüber in Petersburg unserem Väterchen, dem Zaren, melden, er wird es nicht dulden, daß uns Unrecht geschieht. Ich verbleibe deine treue Magd Arina Jegorowna Busyrojowa.«

    Wladimir Dubrowskij las diese wenig verständlichen Zeilen einigemal hintereinander mit ungewöhnlicher Erregung. Er hatte seine Mutter in der frühesten Kindheit verloren und kannte seinen Vater fast nicht, da er schon im achten Lebensjahre nach Petersburg gebracht worden war. Trotzdem hing er an ihm mit romantischer Liebe und liebte das Familienleben um so mehr, je weniger er von seinen stillen Freuden gekostet. Der Gedanke an die Möglichkeit, den Vater zu verlieren, zerfleischte ihm schmerzhaft das Herz, und die Lage des armen Kranken, die er nach dem Briefe der Wärterin ahnte, erfüllte ihn mit Entsetzen. Er stellte sich seinen Vater vor, wie er einsam im entlegenen Dorfe, von der dummen Alten und der leibeigenen Dienerschaft gepflegt, daliegt ... bedroht von Unheil und ohne Hilfe in körperlichen und seelischen Qualen dahinsiechend. Wladimir warf sich sträfliche Nachlässigkeit vor. Als er von seinem Vater lange keine Nachricht erhalten, hatte er gar nicht daran gedacht, sich selbst zu erkundigen, und geglaubt, der Vater sei verreist oder mit der Wirtschaft beschäftigt. Am gleichen Tage fing er an, sich um einen Urlaub zu bemühen, und saß schon nach zwei Tagen mit seinem treuen Grischa im Postwagen.

    Wladimir Andrejewitsch näherte sich der Station, von der er nach Kistenjowka abbiegen mußte. Sein Herz war von traurigen Vorahnungen erfüllt; er fürchtete, seinen Vater nicht mehr am Leben zu finden; er malte sich die traurige Lebensweise aus, die ihn auf dem Gute erwartete: Einsamkeit, Mangel an Gesellschaft, Armut und Geschäfte, von denen er nichts verstand. Auf der Station angekommen, fragte er den Stationsaufseher, ob er nicht Privatpferde haben könne. Der Stationsaufseher erkundigte sich nach seinem Reiseziel und teilte ihm mit, daß die ihm aus Kistenjowka entgegengeschickten Pferde schon seit vier Tagen hier auf ihn warteten. Bald erschien auch der alte Kutscher Anton, der ihn einst in den Pferdestallungen herumgeführt und sein eigenes kleines Pferdchen gepflegt hatte. Anton vergoß beim Wiedersehen mit ihm einige Tränen, verbeugte sich vor ihm bis zur Erde, sagte, daß der alte Herr noch am Leben sei, und eilte hinaus, um die Pferde anzuspannen. Wladimir Andrejewitsch verzichtete auf das ihm angebotene Frühstück und machte sich schleunigst auf den Weg. Anton fuhr ihn auf Dorfwegen, und unterwegs entspann sich zwischen ihnen folgendes Zwiegespräch:

    »Sag' mir bitte, Anton, was hat mein Vater mit dem Trojekurow?«

    »Das weiß Gott allein, Väterchen Wladimir Andrejewitsch. Unser Herr hat sich mit Kirila Petrowitsch irgendwie nicht vertragen können, und jener verklagte ihn bei Gericht, – obwohl er meistens selbst sein eigener Richter ist. Wir Knechte dürfen nicht über ihren herrschaftlichen Willen urteilen; aber bei Gott, es ist schade, daß dein Väterchen dem Kirila Petrowitsch getrotzt hat; ein Beil kann man mit einer Peitschenschnur nicht durchhauen.«

    »Dieser Kirila Petrowitsch macht also hier bei euch alles, was er will?«

    »Gewiß, Herr: der Assessor ist für ihn Luft, den Polizeimeister gebraucht er zu Botengängen, und alle Herrschaften kommen zu ihm gefahren, um ihm ihren Respekt zu zeigen. Es ist ja wahr: wenn es nur einen Trog gibt, die Schweine kommen von selbst.«

    »Ist es wahr, daß er uns unser Gut nehmen will?«

    »Ach, Herr, davon haben auch wir gehört. Neulich sagte der Küster von Pokrowskoje bei der Kindstaufe bei unserm Dorfschulzen: ›Es ist euch lange genug gut gegangen; jetzt nimmt euch Kirila Petrowitsch in Zucht.‹

    Aber der Schmied Mikita sagte ihm: ›Genug, Ssaweljitsch, betrübe den Gevatter nicht und mache die Gäste nicht trübsinnig. Kirila Petrowitsch ist ein Mensch für sich, und Andrej Gawrilowitsch einer für sich, – wir sind aber alle Knechte Gottes und des Zaren.‹ Aber an einen fremden Mund kann man nicht gut einen Kopf annähen.« »Also wollt ihr nicht in den Besitz Trojekurows übergehen?« »In den Besitz Kirila Petrowitschs? Gott schütze und bewahre uns! Seine eigenen Bauern haben ein schlechtes Leben, wenn er aber auch noch fremde bekommt, so schindet er ihnen nicht nur die Haut vom Leibe, sondern auch das Fleisch von den Knochen. Nein, Gott schenke unserm Andrej Gawrilowitsch ein langes Leben; wenn ihn aber Gott zu sich nimmt, so wollen wir keinen anderen als dich allein, du unser Ernährer. Halte zu uns, und wir werden für dich mit Leib und Seele einstehen.« Bei diesen Worten holte Anton mit der Peitsche aus und zog die Zügel an, und die Pferde begannen einen schnellen Trab zu laufen.

    Durch die Ergebenheit des alten Kutschers gerührt, verstummte Dubrowskij und gab sich seinen Gedanken hin. So verging mehr als eine Stunde; plötzlich weckte ihn Grischa aus seinen Gedanken mit dem Rufe: »Da ist Pokrowskoje!« Dubrowskij hob den Kopf. Er fuhr am Ufer eines weiten Sees entlang, dem ein Flüßchen entströmte, das sich zwischen Hügeln schlängelte und sich in der Ferne verlor. Aus einem der Hügel erhob sich über den grünen Wipfeln eines Gehölzes das grüne Dach und Belvedere eines großen steinernen Hauses; auf einem anderen eine Kirche mit fünf Kuppeln und einem alten Glockenturme; ringsum lagen die Bauernhäuser mit ihren Gemüsegärten und Ziehbrunnen zerstreut. Dubrowskij erkannte diese Gegend; er erinnerte sich, daß er als Junge auf diesem selben Hügel mit der kleinen Mascha Trojekurowna gespielt hatte, die zwei Jahre jünger als er war und schon damals versprach, eine Schönheit zu werden. Er wollte sich nach ihr bei Anton erkundigen, aber eine gewisse Scheu hielt ihn davon ab. Als der Wagen am Herrenhause vorbeifuhr, sah Dubrowskij ein weißes Kleid zwischen den Bäumen des Gartens schimmern. Aber im gleichen Augenblick schlug Anton auf die Pferde ein und sauste, dem Ehrgeize folgend, der allen ländlichen Kutschern und Fuhrleuten eigen ist, über die Brücke und am Garten vorbei. Als sie das Gut hinter sich hatten und einen Hügel hinaufgefahren waren und Wladimir ein Birkenwäldchen und links davon ein kleines graues Häuschen mit rotem Dache erblickte, fing sein Herz schneller zu schlagen an – vor ihm lag Kistenjowka mit dem ärmlichen Hause seines Vaters.

    Nach zehn Minuten fuhr er schon in den Gutshof ein. Mit unbeschreiblicher Erregung blickte er um sich: zwölf Jahre hatte er seine Heimat nicht gesehen. Die Birken, die man zu seiner Zeit längs des Zaunes gepflanzt hatte, waren gewachsen und zu großen schattigen Bäumen geworden. Der Hof, den früher drei regelmäßig angelegte Blumenbeete schmückten, zwischen denen ein breiter, sorgfältig gekehrter Weg führte, war jetzt in eine ungemähte Wiese verwandelt, auf der ein gekoppeltes Pferd weidete. Die Hunde fingen schon zu bellen an, verstummten aber und wedelten mit den buschigen Schwänzen, als sie Anton erkannten. Die Leute liefen aus den Gesindegebäuden heraus und umringten den jungen Herrn mit lauten freudigen Ausrufen. Nur mit Mühe konnte er sich durch die dienstfertige Schar hindurchdrängen und die morsche Freitreppe hinauflaufen. Im Flur empfing ihn Jegorowna, die weinend ihren einstigen Pflegling umarmte. –»Guten Tag, guten Tag, Kinderfrau,« wiederholte er, die gute Alte an sein Herz drückend: »Wie geht es Väterchen, wo ist er? Was macht er?« – In diesem Augenblick trat ein großgewachsener, blasser und hagerer Greis, in Schlafrock und Nachtmütze, mit Mühe die Beine bewegend, in den Saal. – »Wo ist denn Wolodjka?« fragte er mit schwacher Stimme, und Wladimir umarmte voller Inbrunst seinen Vater. Die Freude hatte den Kranken zu stark erschüttert: er wurde plötzlich schwach, seine Beine knickten ein, und er wäre wohl hingefallen, wenn sein Sohn ihn nicht gestützt hätte. »Warum bist du vom Bett aufgestanden,« sagte ihm Jegorowna: »Er kann nicht mal stehen, will aber immer hin, wo die anderen Menschen sind.« Man trug den Alten ins Schlafzimmer. Er wollte mit dem Sohne sprechen, aber seine Gedanken gerieten durcheinander, und seine Worte hatten keinen Zusammenhang. Er verstummte und versank in einen Schlummer. Der Zustand des Vaters hatte Wladimir erschüttert. Er folgte ihm in sein Schlafzimmer und bat, ihn mit seinem Vater allein zu lassen. Das Hausgesinde gehorchte; alle wandten sich nun Grischa zu und führten ihn in die Gesindestube, wo man ihn erst ordentlich mit Fragen und Begrüßungen quälte und dann auf ländliche Weise mit größter Gastfreundschaft bewirtete.
    Viertes Kapitel

    Einige Tage nach seiner Ankunft wollte der junge Dubrowskij die geschäftliche Lage kennen lernen, aber der Vater war nicht mehr imstande, ihm die nötigen Erklärungen zu geben; Andrej Gawrilowitsch hatte auch keinen Bevollmächtigen. Bei der Durchsicht der Papiere fand Dubrowskij nur den ersten Brief des Assessors und den Entwurf zu der Antwort auf diesen. Daraus konnte er keine klare Vorstellung vom Prozeß bekommen und entschloß sich, im Vertrauen auf die gerechte Sache, die Folgen ruhig abzuwarten.

    Der Zustand Andrej Gawrilowitschs verschlechterte sich indes von Stunde zu Stunde. Wladimir sah schon seine baldige Auflösung voraus und wich nicht von der Seite des Vaters, der vollkommen kindisch geworden war.

    Indessen war die vorgeschriebene Frist verstrichen, und eine Berufung war nicht eingelegt worden. Kistenjowka gehörte Trojekurow. Schabaschkin kam zu ihm mit untertänigsten Glückwünschen und der Bitte, bestimmen zu wollen, »wann Euer Exzellenz belieben, den Besitz des neuerworbenen Gutes anzutreten, sei es in eigener Person, sei es durch einen bevollmächtigten Vertreter«. Kirila Petrowitsch fühlte sich etwas verlegen. Von Natur war er gar nicht habgierig; er hatte sich von der Rachsucht zu weit hinreißen lassen, und sein Gewissen murrte. Er wußte, in welchem Zustande sich sein Gegner und alter Jugendfreund befand, und der Sieg freute ihn nicht. Er sah Schabaschkin drohend an und bemühte sich, einen Grund zu finden, um ihn zu schelten; da er aber keinen genügenden Grund finden konnte, sagte er böse: »Geh' weg, ich hab' für dich keine Zeit!« Als Schabaschkin sah, daß er schlechter Laune war, verbeugte er sich und eilte hinaus; aber Kirila Petrowitsch begann auf und ab zu gehen und dabei den Marsch zu pfeifen: »Laut erdröhne Siegesjubel«, was bei ihm immer ein Zeichen heftiger innerer Stürme war. Schließlich ließ er einen Jagdwagen anspannen, kleidete sich warm an (es war schon Ende September), ergriff selbst die Zügel und fuhr aus.

    Bald erblickte er das Häuschen Andrej Gawrilowitschs. Die widerstrebendsten Gefühle erfüllten seine Seele. Die befriedigte Rachlust und Herrschsucht erstickten bis zu einem gewissen Grade die edleren Regungen, aber die letzteren siegten schließlich doch. Er war entschlossen,. sich mit seinem alten Nachbarn zu versöhnen, alle Spuren des Streites zu vernichten und ihm seinen Besitz wiederzugeben. Als Kirila Petrowitsch seine Seele durch diesen Entschluß erleichtert hatte, ließ er sein Pferd Trab laufen und fuhr auf den Gutshof.

    Der Kranke saß zu dieser Zeit am Fenster des Schlafzimmers. Er erkannte Kirila Petrowitsch, und eine furchtbare Erregung zeigte sich aus seinem Gesicht: Ein tiefes Rot trat an Stelle der gewöhnlichen Blässe, die Augen funkelten, er gab unverständliche Laute von sich. Sein Sohn, der bei ihm, mit den Rechnungsbüchern beschäftigt, saß, hob den Kopf und erschrak über den Zustand des Vaters. Der Kranke zeigte mit dem Finger zornig und erschrocken auf den Hof. In diesem Augenblick erklangen die schweren Schritte und die Stimme Jegorownas: »Herr, Herr! Kirila Petrowitsch ist gekommen, Kirila Petrowitsch hält vor dem Hause!« Jegorowna fuhr erschrocken fort: »Mein Gott, was ist denn das? Was ist mit ihm geschehen?« Der Alte raffte eilig die Schöße seines Schlafrockes zusammen, um von seinem Sessel aufzustehen, erhob sich ein wenig – und fiel plötzlich zu Boden. Der Sohn stürzte zu ihm hin; der Alte lag unbeweglich, bewußtlos, ohne zu atmen: der Schlag hatte ihn gerührt. »Schnell, schnell, in die Stadt, nach einem Arzt!« schrie Wladimir. – »Kirila Petrowitsch möchte Sie sprechen,« meldete ein eintretender Diener. Wladimir warf ihm einen furchtbaren Blick zu. »Sag' Kirila Petrowitsch, er soll sich sofort scheren, sonst lasse ich ihn hinauswerfen ... marsch!« Der Diener eilte freudig hinaus, um den Befehl seines Herrn auszuführen. Jegorowna schlug die Hände zusammen. »Väterchen,« rief sie mit weinerlicher Stimme, »du wirst dich zugrunde richten! Kirila Petrowitsch wird uns alle auffressen.« – »Schweig', Kinderfrau,« sagte Wladimir zornig. »Schicke sofort Anton in die Stadt nach einem Arzt.« Jegorowna ging hinaus. Im Vorzimmer war niemand mehr, alle Leute waren hinausgelaufen, um Kirila Petrowitsch zu sehen. Die Alte ging auf die Freitreppe hinaus und hörte die Antwort, die der Diener dem im Namen des jungen Herrn gab. Kirila Petrowitsch hörte, in seinem Wagen sitzend, den Diener an; sein Gesicht wurde finsterer als die Nacht; er lächelte verächtlich, blickte das Gesinde drohend an und fuhr im Schritt vom Hofe. Er sah zum Fenster hinauf, an dem soeben Andrej Gawrilowitsch gesessen hatte; jetzt war aber niemand mehr da. Die Kinderfrau hatte den Befehl ihres Herrn vergessen und stand noch immer auf der Treppe. Das Gesinde besprach laut das Ereignis. Plötzlich erschien Wladimir unter den Leuten und sagte mit zitternder Stimme: »Der Arzt ist nicht mehr nötig, Väterchen ist verschieden.« Es entstand eine Verwirrung. Die Leute stürzten ins Zimmer des alten Herrn. Er lag im Lehnstuhl, auf den ihn Wladimir gebracht hatte; die rechte Hand hing zu Boden herab, der Kopf war auf die Brust gesenkt, kein Lebenszeichen war in diesem noch nicht erkalteten, aber durch den Tod schon entstellten Körper zu sehen. Jegorowna schluchzte laut; die Diener umringten den ihrer Fürsorge anvertrauten Leichnam, wuschen ihn, bekleideten ihn mit der noch im Jahre 1797 genähten Uniform und legten ihn auf denselben Tisch, an dem sie so viele Jahre ihren Herrn bedient hatten.
    Fünftes Kapitel

    Die Beerdigung fand am dritten Tage statt. Die Leiche des armen Greises lag, von einem Bahrtuch bedeckt und von Kerzen umgeben, auf dem Tische. Das Eßzimmer war von Leibeigenen angefüllt, die ihr das letzte Geleite geben wollten. Wladimir und die Diener hoben den Sarg.

    Der Geistliche ging voran, und der Küster folgte ihm, Beerdigungslieder singend. Der Herr von Kistenjowka verließ zum letztenmal sein Haus. Der Sarg wurde durch das Wäldchen getragen, hinter dem sich die Kirche befand. Es war ein heiterer und kalter Tag; das Herbstlaub fiel von den Bäumen. Als sie das Wäldchen durchschritten hatten, erblickten sie die Holzkirche von Kistenjowka und den von alten Linden beschatteten Friedhof. Hier ruhte die verstorbene Mutter Wladimirs; neben ihrem Grabe war am Tage vorher ein neues Grab geschaufelt worden. Die Kirche war voll von Bauern, die gekommen waren, um ihrem Herrn die letzte Ehre zu erweisen. Der junge Dubrowskij stand im Chor; er weinte nicht und betete nicht, aber sein Gesicht war entsetzlich. Die Trauerzeremonie war beendet. Wladimir trat als erster an den Sarg, um von der Leiche Abschied zu nehmen. Ihm folgten alle Leibeigenen. Dann brachte man den Deckel und nagelte den Sarg zu. Die Weiber weinten laut, die Männer wischten sich oft mit der Faust die Tränen aus den Augen. Wladimir und die gleichen drei Diener trugen den Sarg, vom ganzen Dorfe begleitet, auf den Friedhof. Man versenkte ihn ins Grab, alle Anwesenden warfen eine Handvoll Erde hinab, das Grab wurde zugeschüttet, alle verbeugten sich noch einmal vor dem Hügel und begaben sich nach Hause. Wladimir verließ schnell den Friedhof und verschwand, alle Leidtragenden überholend, im Wäldchen von Kistenjowka. Jegorowna lud in seinem Namen den Geistlichen, den Küster und die ganze Klerisei zum Trauermahl ein und erklärte allen, daß der junge Herr demselben nicht beiwohnen würde. So gingen der Pope P. Onissim, seine Frau Fjodorowna und der Küster zu Fuß auf den Gutshof und sprachen unterwegs mit Jegorowna von den Tugenden des Verstorbenen und von den Dingen, die seinen Erben zu erwarten schienen. (Der Besuch Trojekurows und der Empfang, der ihm zuteil geworden war, waren schon in der ganzen Nachbarschaft bekannt geworden, und die Dorfpolitiker prophezeiten die ernstesten Folgen.)

    »Was auch kommen mag,« sagte die Popenfrau, »es wär' schade, wenn wir nicht Wladimir Andrejewitsch zum Herrn bekämen. Denn er ist ein trefflicher junger Mann, das muß ich sagen.«

    »Wer soll denn unser Herr sein, wenn nicht er?« unterbrach sie Jegorowna. »Kirila Petrowitsch regt sich vergebens auf, er hat es nicht mit einem Feigling zu tun. Mein junger Falke wird schon selbst für sich eintreten können, auch Gott wird ihm beistehen, und seine Wohltäter werden ihn auch nicht im Stich lassen. Viel zu stolz ist dieser Kirila Petrowitsch! Wie er aber den Schwanz eingezogen hat, als unser Grischa ihn anschrie: ›Hinaus, alter Hund!.. Fort von hier!'« »Ach, Jegorowna,« versetzte der Küster, »wie hat es Grigorij bloß über die Lippen gebracht? Ich glaube, ich entschließe mich eher, den Bischof um etwas zu bitten, als Kirila Petrowitsch scheel anzusehen. Wenn man ihn bloß anblickt, befällt einen Furcht und Schrecken! Und der Rücken beugt sich ganz von selbst...«

    »Es ist alles eitel!« sagte der Geistliche. »Auch dem Kirila Petrowitsch wird man einst die ewige Ruhe singen, wie heute Andrej Gawrilowitsch. Höchstens wird die Beerdigung prunkvoller sein und man wird auch mehr Gäste zusammenrufen, aber vor Gott ist das ganz gleich.« »Ach, Väterchen, auch wir hatten es vor, die ganze Nachbarschaft einzuladen, aber Wladimir Andrejewitsch wollte es nicht. Wir haben von allem genug, um viele Gäste zu bewirten, aber was soll man machen? Wir haben nur wenig Gäste, aber ich werde wenigstens euch gut bewirten, meine Lieben.« Dieses freundliche Versprechen und die Hoffnung, einen schmackhaften Kuchen vorzufinden, beschleunigten die Schritte der Gesellschaft, und alle erreichten bald glücklich das Herrenhaus, wo der Tisch schon gedeckt war und der Branntwein bereit stand.

    Wladimir drang indessen immer tiefer ins Dickicht ein und suchte seinen Seelenschmerz durch Bewegung und Ermüdung zu betäuben. Er ging, ohne auf den Weg zu achten; die Zweige streiften ihn jeden Augenblick und zerkratzten ihm Gesicht und Hände, seine Füße sanken immer in den Morast ein, – er merkte es nicht. Endlich erreichte er eine kleine, rings vom Walde umgebene Lichtung; ein Bächlein schlängelte sich lautlos zwischen den Bäumen dahin, die der Herbst schon halb entblößt hatte. Wladimir machte halt, setzte sich auf den kalten Rasen, und Gedanken, einer düsterer als der andere, drängten sich in seinem Herzen... Er fühlte seine bedrückende Einsamkeit, und die Zukunft erschien ihm von drohenden Wolken verhüllt. Der Streit mit Trojekurow verhieß ihm neues Unheil. Sein ärmlicher Besitz konnte leicht in fremde Hände übergehen; in diesem Falle erwartete ihn der Bettelstab. Lange saß er regungslos auf dem gleichen Platz da, verfolgte mit den Blicken den langsamen Lauf des Baches, der einzelne welke Blätter mit sich forttrug, und empfand darin lebhaft die Ähnlichkeit mit dem Leben, sah ein so treues und gewöhnliches Abbild des Lebens. Endlich merkte er, daß es schon dunkelte; er stand auf, um nach dem Wege zu suchen. Lange irrte er in dem ihm unbekannten Walde umher, bis er endlich auf einen Pfad geriet, der ihn gerade zum Tore seines Hauses führte. Unterwegs traf er den Popen mit der ganzen Klerisei. Ihm kam der Gedanke, daß eine solche Begegnung nach dem Volksglauben glückverheißend sei. Unwillkürlich bog er vom Wege ab und verschwand hinter den Bäumen.

    Sie bemerkten ihn nicht und sprachen eifrig miteinander. »Meidet das Böse und tut Gutes,« sagte der Pope zu seiner Frau. »Was sollen wir noch länger hier bleiben? Es ist nicht deine Sorge, wie die Sache ausgeht.« Die Popenfrau entgegnete etwas, aber Wladimir konnte es nicht hören.

    Als er sich seinem Hause näherte, erblickte er eine Menge Menschen: viele Bauern und das Hausgesinde drängten sich auf dem Gutshofe. Wladimir vernahm schon aus der Ferne ein lautes Gemurmel. Vor dem Schuppen warteten zwei Troikas. Auf der Treppe standen einige unbekannte Männer in Uniformröcken, die mit großem Eifer zu sprechen schienen. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er zornig Anton, der ihm entgegeneilte: »Was sind das für Menschen und was wollen sie hier?« – »Ach, Väterchen Wladimir Andrejewitsch,« antwortete der Alte ganz atemlos: »das Gericht ist da. Man übergibt uns dem Trojekurow, man nimmt uns dir weg!« Wladimir ließ den Kopf hängen; die Leibeigenen umringten ihren unglücklichen Herrn. »Unser Vater,« riefen sie, ihm die Hände küssend: »wir wollen keinen anderen Herrn als dich. Wir sterben lieber, als daß wir dich im Stich lassen. Befehle es uns nur, Herr, wir werden mit dem Gericht schon fertig werden.« Wladimir sah sie an, und düstere Gefühle erfüllten sein Herz. »Seid ruhig,« sagte er ihnen, »ich will mit den Beamten sprechen.« »Sprich mit ihnen, Väterchen,« rief man ihm aus der Menge zu, »rede doch den Verdammten ins Gewissen.« Wladimir ging auf die Beamten zu. Schabaschkin stand mit der Mütze auf dem Kopfe, die Hände in die Hüften gestemmt, und blickte stolz um sich. Der Isprawnik, ein großer dicker Mann von etwa fünfzig Jahren mit rotem Gesicht und Schnurrbart, räusperte sieh, als er Dubrowskij kommen sah, und sagte mit heiserer Stimme: »Ich wiederhole also nochmals, was ich schon gesagt habe: auf Beschluß des Preisgerichts gehört ihr von nun an Kirila Petrowitsch Trojekurow, der hier von Herrn Schabaschkin vertreten wird. Gehorcht ihm in allen Dingen, was er euch befehlen wird; aber ihr Weiber, liebt und ehrt ihn ganz besonders, denn er hat für euch eine besondere Vorliebe.« Nach diesem geistreichen Witze lachte der Isprawnik laut auf. Schabaschkin und die übrigen Mitglieder der Gerichtskommission folgten seinem Beispiel. Wladimir schäumte vor Wut. »Darf ich fragen, was das zu bedeuten hat?« fragte er mit gekünstelter Ruhe den lustigen Isprawnik. – »Das hat zu bedeuten,« antwortete der witzige Beamte, »daß wir hergekommen sind, um Kirila Petrowitsch Trojekurow in den Besitz dieses Gutes einzuweisen, und alle anderen bitten, gutwillig zu verschwinden.«

    »Ich glaube aber, Sie hätten sich zuvor an mich und nicht an meine Bauern wenden sollen, um mir von der Entziehung meines Besitzes Mitteilung zu machen...« »Der ehemalige Gutsbesitzer Andrej Gawrilowitsch Dubrowskij ist nach Gottes Ratschluß gestorben; wer aber bist du?« fragte Schabaschkin mit frechem Blick. »Wir kennen Sie nicht und wollen Sie auch nicht kennen.« »Euer Wohlgeboren, es ist unser junger Herr,« rief eine Stimme aus der Menge: »Es ist Wladimir Andrejewitsch!« »Wer wagt es, den Mund aufzutun?!« sagte der Isprawnik streng. »Was für ein Herr? Was für ein Wladimir Andrejewitsch? Euer Herr ist Kirila Petrowitsch Trojekurow ... hört ihr es, ihr Narren?« »Unsinn!« rief die gleiche Stimme. »Das ist ja Aufruhr!« schrie der Isprawnik. »He, Gemeindeältester!«

    Der Gemeindeälteste trat vor.

    »Finde mir sofort den, der es gewagt hat, mit mir reden; ich werde ihm schon zeigen!...«

    Der Gemeindeälteste wandte sich an die Menge und fragte, wer da gesprochen habe. Aber alle schwiegen. Bald erhob sich in den hinteren Reihen ein Murren, es wurde immer lauter und verwandelte sich nach einer Minute in ein fürchterliches Geschrei. Der Isprawnik dämpfte seine Stimme und versuchte die Leute zu beschwichtigen...

    »Was wollt ihr auf ihn noch hören,« schrieen die Leibeigenen: »Kinder, packt sie!« Und die Menge rückte gegen die Beamten vor. Schabaschkin und die Kommissionsmitglieder stürzten schnell in den Hausflur und verschlossen hinter sich die Tür. »Kinder, los!« schrie die gleiche Stimme, und die Menge drängte vorwärts. »Halt!« schrie Dubrowskij: »Dummköpfe! Was fällt euch ein? Ihr richtet euch und mich zugrunde. Geht nach Hause und laßt mich in Ruhe. Habt keine Angst: der Kaiser ist gnädig; ich werde ihn bitten, er wird uns die Hilfe nicht versagen, wir alle sind seine Kinder; wie soll er aber für euch eintreten, wenn ihr euch wie Aufrührer und Räuber gebärdet?«

    Die Rede des jungen Dubrowskij, seine laute Stimme und sein gebieterisches Auftreten hatten den gewünschten Erfolg. Die Bauern beruhigten sich und gingen nach Hause; der Hof leerte sich, die Kommissionsmitglieder saßen im Hause. Wladimir ging traurig die Stufen hinauf. Schabaschkin öffnete die Tür und fing an, Dubrowskij unter tiefen Verbeugungen für sein gnädiges Einschreiten zu danken.

    Wladimir hörte ihn mit Verachtung an und antwortete nichts. »Wir haben beschlossen,« fuhr der Assessor fort, »mit Ihrer Erlaubnis hier über Nacht zu bleiben; denn es ist dunkel, und die Bauern können uns auf dem Wege überfallen. Erweisen Sie uns die Gnade und lassen Sie uns wenigstens etwas Heu ins Wohnzimmer bringen; bei Tagesanbruch fahren wir heim.«

    »Tun Sie, was Sie wollen,« antwortete ihnen Dubrowskij trocken. »Ich bin hier nicht mehr der Herr.«

    Mit diesen Worten zog er sich in das Zimmer seines Vaters zurück und schloß hinter sich die Tür.
    Sechstes Kapitel

    »Also ist alles zu Ende!« sagte sich Wladimir. »Am Morgen besaß ich noch ein Obdach und ein Stück Brot, und morgen muß ich das Haus verlassen, in dem ich geboren bin. Mein Vater, die Erde, in der er ruht, wird dem verhaßten Menschen, der seinen Tod und mein Elend verschuldet hat, gehören!« Wladimir biß die Zähne zusammen, und sein Blick heftete sich auf das Bild seiner Mutter. Der Künstler hatte sie an ein Geländer gelehnt dargestellt, in einem weißen Morgenkleid mit einer Rose im Haar. »Auch dieses Bild wird dem Feinde meiner Familie zufallen,« dachte sich Wladimir, »es wird zusammen mit zerbrochenen Stühlen in die Rumpelkammer kommen oder vielleicht im Vorzimmer aufgehängt werden, als Gegenstand des Spottes und der Witze seiner Pikeure; aber in ihrem Schlafzimmer, im Sterbezimmer meinem Vaters wird sein Verwalter wohnen oder sich sein Harem befinden. Nein, nein! das traurige Haus, aus dem er mich vertreibt, darf ihm nicht gehören.« Wladimir knirschte mit den Zähnen, schreckliche Gedanken regten sich in ihm. Die Stimmen der Beamten drangen zu ihm herein: sie wirtschafteten wie die Herren im Hause, verlangten bald dieses, bald jenes und störten aus die unangenehmste Weise seine traurigen Gedanken. Endlich war alles still. Wladimir öffnete die Kommoden und Schubläden und begann die Papiere des Verstorbenen zu sichten. Sie bestanden zum größten Teil aus Wirtschaftsrechnungen und geschäftlichen Korrespondenzen. Wladimir zerriß sie, ohne sie zu lesen. Unter ihnen fiel ihm ein Paket in die Hand mit der Aufschrift: »Briefe meiner Frau.« Tief bewegt sah Wladimir sie durch; sie waren während der türkischen Kampagne geschrieben worden und aus Kistenjowka ins Feld adressiert. Sie beschrieb darin ihr einsames Leben und die wirtschaftlichen Sorgen, beklagte sich mit den zärtlichsten Gefühlen über die Trennung und rief ihn nach Hause, in die Arme der liebenden Lebensgefährtin. In einem der Briefe äußerte sie ihre Besorgnis wegen der Gesundheit des kleinen Wladimir; in einem anderen freute sie sich über seine frühentwickelten Fähigkeiten und prophezeite ihm eine glückliche und glänzende Zukunft. Wladimir vertiefte sich mit der ganzen Seele in diese Welt des Familienglücks, vergaß die Gegenwart und merkte gar nicht, wie die Zeit verging: die Wanduhr schlug elf. Wladimir steckte die Briefe in die Tasche, nahm eine Kerze und verließ das Kabinett. Im Saale schliefen die Beamten auf dem Fußboden. Auf dem Tische standen die von ihnen geleerten Gläser, und im ganzen Zimmer roch es stark nach Rum. Wladimir ging mit Ekel an ihnen vorbei ins Vorzimmer. Hier war es dunkel. Als Wladimir mit der Kerze erschien, stürzte jemand in eine Ecke. Wladimir ging mit der Kerze auf ihn zu und erkannte den Schmied Archiv. »Was willst du hier?« fragte er erstaunt.

    »Ich wollte ... ich kam nur nachzugehen, ob alle zu Hause sind,« antwortete Archip leise und stockend. »Und warum hast du dein Beil bei dir?«

    Wozu ich das Beil habe? Kann man denn heute ohne ein Beil ausgehen? Diese Beamten sind solche Verbrecher, daß man sich in Acht nehmen muß...«

    »Du bist betrunken. Laß das Beil und geh', schlaf dich aus.«

    »Ich bin betrunken? Väterchen Wladimir Andrejewitsch, Gott ist mein Zeuge, ich habe nicht einen Tropfen im Munde gehabt ... und wie könnte ich auch an den Schnaps bloß denken? Ist es nicht unerhört; die Beamten wollen uns in ihre Gewalt bekommen, die Beamten treiben unsere Herrschaft aus dem Hause... Wie sie da schnarchen, die Verdammten; man müßte allen auf einmal den Garaus machen, und kein Mensch würde es erfahren.« Dubrowskij machte ein finsteres Gesicht.

    »Hör' mal, Archip,« sagte er nach einem Schweigen. »Schlage dir das aus dem Kopfe, die Beamten haben keine Schuld. Zünde die Laterne an und komm' mit mir.« Archip nahm die Kerze aus der Hand seines Herrn, suchte hinter dem Ofen die Laterne hervor, zündete sie an, und beide stiegen leise die Treppe hinunter und gingen über den Hof. Die Wache schlug, als sie sie gehen hörte, auf ein gußeisernes Brett; die Hunde bellten. »Wer hat heute die Nachtwache?« fragte Dubrowskij. – »Wir, Väterchen,« antwortete eine hohe Stimme, »Wassilissa und Lukerja.« – »Geht nach Hause,« sagte ihnen Dubrowskij, »ihr seid nicht mehr nötig.« – »Es ist Feierabend!« fügte Archip hinzu. – »Wir danken dir, Wohltäter,« antworteten die Weiber und gingen sofort nach Hause. Dubrowskij ging weiter. Zwei Menschen näherten sich ihm und riefen ihn an; Dubrowskij erkannte die Stimmen Antons und Grischas – »Warum schlaft ihr nicht?« fragte er sie. – »Wie können wir schlafen,« antwortete Anton. »Was wir jetzt erleben müssen, wer hätte es wohl gedacht...«

    »Still!« unterbrach ihn Dubrowskij. »Wo ist Jegorowna?« »Im Herrenhause, in ihrer Kammer,« antwortete Grischa. »Geh', bringe sie her und führe alle unsere Leute aus dem Hause, damit außer den Beamten keine Menschenseele darin bleibt; und du, Anton, spanne den Wagen an.« Grischa ging und kam nach einer Minute mit seiner Mutter wieder. Die Alte hatte sich in dieser Nacht nicht ausgezogen; außer den Beamten hatte im ganzen Haus niemand ein Auge geschlossen.

    »Seid ihr alle hier?« fragte Dubrowskij. »Ist niemand im Hause geblieben?«

    »Niemand außer den Beamten,« antwortete Grischa. »Bringt jetzt Heu und Stroh her,« befahl Dubrowskij. Die Leute liefen in den Stall und kehrten mit Heubündeln zurück.

    »Legt es unter die Treppe, ja, so. Nun, Kinder, gebt mir Feuer!«

    Archip öffnete die Laterne, Dubrowskij zündete einen Span an.

    »Wart',« sagte er zu Archip. »Ich glaube, ich habe in der Eile die Tür im Vorzimmer verschlossen; geh' und öffne sie schnell.«

    Archip lief in den Flur, die Tür war offen. Archip drehte den Schlüssel um und sagte leise vor sich hin: »Ja, warum nicht gar, öffnen!« Und er kehrte zu Dubrowskij zurück.

    Dubrowskij legte den Span an, das Heu loderte auf, die Flamme schlug empor und erleuchtete den ganzen Hof. »Ach, du lieber Himmel!« jammerte Jegorowna. »Wladimir Andrejewitsch, was machst du!« »Schweig'!« antwortete Dubrowskij. »Nun, Kinder, lebt wohl! Ich gehe, wohin mich Gott führen wird. Seid glücklich mit eurem neuen Herrn.«

    »Unser Vater und Wohltäter,« riefen die Leute, »wir sterben, aber wir verlassen dich nicht, wir gehen mit dir!« Die Pferde waren angespannt. Dubrowskij setzte sich mit Grischa in den Wagen; Anton schlug auf die Pferde ein, und sie fuhren aus dem Hofe.

    In diesem Augenblick erfaßte das Feuer das ganze Haus. Die Fußböden fielen krachend ein, lodernde Balken stürzten zu Boden; roter Rauch erhob sich über dem Dache; es ertönte klägliches Geschrei: »Zur Hilfe, zur Hilfe!« – »Warum nicht gar!« sagte Archip, der mit boshaftem Lächeln der Feuersbrunft zusah. – »Lieber Archip,« sagte ihm Jegorowna: »Rette, rette sie, die Verfluchten. Gott wird es dir lohnen!« – »Warum nicht gar!« antwortete der Schmied. Jetzt erschienen die Beamten in den Fenstern und bemühten sich, die doppelten Fensterrahmen zu zerbrechen. Aber im gleichen Augenblick stürzte das Dach mit lautem Krachen ein, und die Schreie verstummten. Bald war das ganze Gesinde im Hofe versammelt. Die Weiber retteten schreiend ihre Habe, und die Kinder hüpften umher und freuten sich über das Feuer. Die Funken wirbelten wie ein feuriges Schneegestöber durch die Luft, und die Bauernhäuser fingen Feuer. »Jetzt ist alles gut!« sagte Archip. »Wie schön es brennt! Man wird es wohl aus Pokrowskoje gut sehen können.« In diesem Augenblick zog eine neue Erscheinung ihre Aufmerksamkeit auf sich: auf dem Dach der brennenden Scheune lief eine Katze hin und her und wußte nicht, wohin sie abspringen sollte. Von allen Seiten umgaben sie die Flammen. Das arme Tier rief mit kläglichem Miauen um Hilfe; die kleinen Jungen wälzten sich vor Lachen, als sie seine Verzweigung sahen. »Was lacht ihr, Teufelsjungen,« sagte böse der Schmied: »Ihr fürchtet nicht: ein Geschöpf Gottes geht zugrunde, und ihr Narren freut euch darüber.« Und er lehnte eine Leiter an das brennende Dach und kletterte hinauf, um die Katze zu holen; sie verstand seine Absicht und krallte sich dankbar und hastig in seinen Ärmel. Der halbversengte Schmied kletterte mit seiner Beute hinunter. »Nun, Kinder, lebt wohl,« sagte er dem bestürzten Gesinde. »Ich habe hier nichts mehr zu suchen, ich wünsche euch jedes Glück, bewahrt mich in gutem Andenken.« Der Schmied verschwand; der Brand wütete noch einige Zeit und hörte allmählich auf; Haufen von Kohlenglut ohne Flamme leuchteten hell im Dunkel der Nacht; die abgebrannten Bauern von Kistenjowka irrten um die Brandstätte herum.
    Siebentes Kapitel

    Am anderen Tage verbreitete sich die Nachricht von der Feuersbrunst in der ganzen Umgegend. Alle sprachen davon, und ein jeder suchte sich das Ereignis auf seine Art zu erklären. Die einen behaupteten, daß die Bauern sich nach der Beerdigung betrunken und das Haus aus Unvorsichtigkeit angezündet hätten; andere beschuldigten die Beamten, die sich bei der Feier des Besitzwechsels berauscht hätten. Manche ahnten den wahren Sachverhalt und versicherten, Dubrowskij selbst hätte, von Zorn und Verzweiflung getrieben, das schreckliche Unglück verschuldet. Viele behaupteten, er sei selbst mit den Beamten und den Dienern verbrannt. Trojekurow kam am nächsten Tage auf die Brandstätte und leitete selbst die Untersuchung ein. Es zeigte sich, daß der Isprawnik, der Assessor am Landgericht, der Anwalt und der Gerichtsschreiber, ebenso auch Wladimir Dubrowskij, die Kinderfrau Jegorowna, der Diener Grigorij, der Kutscher Anton und der Schmied spurlos verschwunden waren.

    Alle Leibeigenen sagten aus, daß die Beamten nach dem Einsturz des Daches verbrannt wären. Ihre verkohlten Knochen wurden aus der Asche gegraben. Die Weiber Wassilissa und Lukerja sagten, daß sie Dubrowskij und den Schmied Archip einige Minuten vor der Feuersbrunst gesehen hätten. Der Schmied Archip war, wie alle einstimmig bestätigten, am Leben geblieben; wahrscheinlich sei er der Haupttäter, wenn nicht einzige Brandstifter gewesen. Auch gegen Dubrowskij lag starker Verdacht vor. Kirila Petrowitsch sandte dem Gouverneur einen genauen Bericht über das ganze Ereignis, und so begann eine neue Untersuchung.

    Bald daraus gaben andere Gerüchte der Neugier und dem Gerede neuen Stoff. Eine Räuberbande war aufgetaucht, die in der ganzen Umgegend Schrecken verbreitete. Die von den Behörden ergriffenen Maßregeln erwiesen sich als ungenügend. Raubanfälle, einer erstaunlicher als der andere, folgten aufeinander. Weder auf den Landstraßen, noch in den Dörfern war man sicher. Räuber fuhren am hellichten Tage in einigen Troikas im ganzen Gouvernement herum, überfielen die Reisenden und die Post, kamen in die Dörfer, raubten die Herrenhäuser aus und steckten sie in Brand. Der Anführer der Bande zeichnete sich durch Klugheit, Kühnheit und sogar eine eigentümliche Großmut aus. Man erzählte sich von ihm Wunderdinge. Dubrowskijs Name war in aller Munde; alle waren überzeugt, daß er und kein anderer der Anführer der kühnen Räuber sei. Man wunderte sich nur über einen Umstand: Trojekurows Besitz blieb verschont; die Räuber hatten keine seiner Scheunen geplündert und keine seiner Fuhren angehalten. Trojekurow erklärte in seiner gewohnten Anmaßung diese Ausnahme mit der Furcht, die er dem ganzen Gouvernement eingejagt zu haben glaubte, ebenso mit der guten Polizei, die er auf seinen Besitztümern eingeführt hatte. Die Nachbarn lachten anfangs über die Einbildung Trojekurows, und jeder erwartete, daß die ungebetenen Gäste auch Pokrowskoje besuchen würden, wo sie sich manches holen könnten; schließlich mußten aber alle zugeben, daß die Räuber vor ihm einen unerklärlichen Respekt hatten. Trojekurow triumphierte und erging sich bei jeder Nachricht über eine neue Heldentat Dubrowskijs in höhnischen Anspielungen über den Gouverneur, die Isprawniks und die militärischen Befehlshaber, denen Dubrowskij immer unbehelligt entschlüpfte.

    Indessen kam der 1. Oktober heran, der Tag des Kirchweihsfestes auf dem Gute Trojekurows. Bevor wir uns aber der Schilderung der weiteren Ereignisse zuwenden, müssen wir den Leser erst mit einigen Personen bekannt machen, die teils für ihn neu und teils nur flüchtig zu Beginn unserer Erzählung erwähnt worden sind.
    Achtes Kapitel

    Der Leser wird wohl schon erraten haben, daß die Tochter Kirila Petrowitschs, die wir bisher mit wenigen Worten erwähnt haben, die Heldin unserer Erzählung ist. In der von uns geschilderten Zeit war sie siebzehn Jahre alt, und ihre Schönheit stand in schönster Blüte. Ihr Vater liebte sie wahnsinnig, behandelte sie aber mit der ihm eigenen Willkür, indem er bald ihre geringsten Launen befriedigte und sie bald durch strenge, zuweilen sogar grausame Behandlung einschüchterte. Er war zwar von ihrer Anhänglichkeit überzeugt, konnte aber unmöglich ihr Vertrauen erwerben. Sie hatte sich gewöhnt, vor ihm alle ihre Gefühle und Gedanken zu verheimlichen, da sie niemals sicher wissen konnte, wie er sie aufnehmen würde. Sie hatte keine Freundinnen und war ganz einsam aufgewachsen. Die Frauen und Töchter der Nachbarn besuchten Kirila Petrowitsch nur selten, da seine gewöhnlichen Gespräche und Vergnügungen die Gesellschaft von Männern und nicht die Anwesenheit von Damen erforderten. Nur selten erschien unsere Schöne vor den Gästen, die bei Kirila Petrowitsch zechten. Die große Bibliothek, die zum größten Teil aus Werken französischer Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts bestand, war ganz ihrer Benutzung freigelassen. Ihr Vater, der noch nie ein Buch mit Ausnahme der »Perfekten Köchin« in der Hand gehabt hatte, konnte die Auswahl ihrer Lektüre nicht leiten, und Mascha wandte sich natürlicherweise, nachdem sie Werke aller Art durchblättert hatte, den Romanen zu. Aus diese Weise vollendete sie selbst ihre Erziehung, die einst unter der Leitung der Mademoiselle Mimi begonnen hatte; Kirila Petrowitsch hatte dieser Französin ein großes Zutrauen und Wohlwollen geschenkt und mußte sie endlich in aller Stille auf ein anderes Gut schicken, als die Folgen dieser Freundschaft allzu sichtbar wurden. Mademoiselle Mimi hatte ein recht gutes Andenken zurückgelassen. Sie war ein gutmütiges Wesen und hatte den Einfluß, den sie auf Kirila Petrowitsch auszuüben schien, nie mißbraucht, wodurch sie sich von allen anderen Favoritinnen auszeichnete, die er jeden Augenblick wechselte. Kirila Petrowitsch hatte sie anscheinend mehr als alle anderen geliebt, und der schwarzäugige muntere Junge von etwa neun Jahren, dessen Züge an das südländische Gesicht der Mademoiselle Mimi erinnerten, wurde in seinem Hause erzogen und als sein Sohn anerkannt, während eine Menge barfüßiger Jungen, die Kirila Petrowitsch ähnlich sahen wie ein Tropfen Wasser dem anderen und aus dem Hofe vor seinen Fenstern herumliefen, als gewöhnliche Bauernkinder galten. Kirila Petrowitsch verschrieb aus Moskau für seinen kleinen Sascha einen französischen Lehrer, der während der von uns geschilderten Ereignisse auf Pokrowskoje eintraf.

    Dieser Lehrer gefiel Kirila Petrowitsch durch sein angenehmes Äußeres und seine bescheidenen Manieren. Er legte Kirila Petrowitsch Empfehlungen und den Brief eines der Verwandten Trojekurows vor, bei dem er vier Jahre als Hauslehrer gelebt hatte. Kirila Petrowitsch sah sich diese Papiere an und war mit allem zufrieden; nur das jugendliche Alter des Franzosen paßte ihm nicht recht: nicht weil er etwa diesen angenehmen Fehler als mit der Geduld und Erfahrung, diesen für den so schwierigen Beruf eines Lehrers notwendigen Eigenschaften, unvereinbar hielte, sondern weil er seine eigenen Bedenken hatte, die er dem Lehrer sogleich mitzuteilen beschloß. Zu diesem Zweck ließ er Mascha kommen. (Kirila Petrowitsch verstand kein Französisch, und sie mußte ihm als Dolmetscher dienen.) »Komm mal her, Mascha, und sag' diesem Musje, daß ich ihn nehmen will, doch unter der Bedingung, daß er sich ja nicht untersteht, meinen Mädeln nachzustellen; sonst werde ich ihn, den Hundesohn ... übersetze es ihm, Mascha.«

    Mascha errötete und sagte dem Lehrer auf französisch, daß ihr Vater hoffe, es mit einem bescheidenen und anständigen Menschen zu tun zu haben.

    Der Franzose verbeugte sich vor ihr und erwiderte, er hoffe die Achtung ihres Vaters zu erwerben, selbst wenn er ihm sein Wohlwollen versagte. Mascha übersetzte diese Antwort wörtlich. »Gut, sehr gut!« sagte Kirila Petrowitsch. »Er braucht weder Achtung noch Wohlwollen. Seine Sache ist es, Sascha zu erziehen und in der Grammatik und Geographie zu unterrichten ... übersetze es ihm.« Marja Kirilowna milderte in ihrer Übersetzung die rohen Ausdrücke ihres Vaters, und Kirila Petrowitsch ließ seinen Franzosen ins Seitengebäude gehen, wo für ihn ein Zimmer vorbereitet war.

    Die von allen möglichen aristokratischen Vorurteilen befangene Mascha schenkte dem jungen Franzosen gar keine Beachtung. Ein Lehrer war für sie eine Art Diener oder Handwerker, und die Diener und Handwerker waren in ihren Augen keine Männer. Sie merkte auch weder den Eindruck, den sie auf Monsieur Deforges gemacht hatte, noch seine Verwirrung, sein Zittern und die Veränderung seiner Stimme. Dann traf sie ihn einige Tage hintereinander sehr oft, würdigte ihn aber keiner großen Beachtung. Auf eine unerwartete Weise erhielt sie aber eine ganz andere
  • Johannes Gstöttenmayer 1. Februar 2008, 19:56

    wieso
  • Gerontolon Müllhaupt 1. Februar 2008, 19:55

    sorry!
  • Gerontolon Müllhaupt 1. Februar 2008, 19:55

    ooooops
  • Gerontolon Müllhaupt 1. Februar 2008, 19:54

    Ich mach ja alles ganz genauso wie du es sagst!